Eine Berufsunfähigkeitsversicherung wird gerade für den Fall abgeschlossen, um sich für den Fall der Berufsunfähigkeit abzusichern. Umso ärgerlicher ist es für viele Versicherungsnehmer, wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung nach vielen Jahren der pünktlichen Beitragszahlung eine Leistung aus nicht nachvollziehbaren Gründen ablehnt.
Die Ablehnungsschreiben der BU-Versicherungen gleichen sich dabei oft in vielen Punkten. Es wird der Vorwurf der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung erhoben und in diesem Zuge die Anfechtung vom Versicherungsvertrag erklärt. Gleichzeitig wird hilfsweise auch der Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt.
In vielen Fällen liegen sowohl die Voraussetzungen für eine Anfechtung der Berufsunfähigkeitsversicherung als auch für einen Rücktritt vom Versicherungsvertrag nicht vor.
Die Hürden für eine Anfechtung durch die Versicherung und für einen Rücktritt sind sehr hoch.
Anfechtung der BU-Versicherung
Zunächst muss ein Anfechtungsgrund vorliegen. Häufigster Anfechtungsgrund im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Vorwurf der arglistigen Täuschung bei Abschluss der BU-Versicherung.
Doch: nicht jede fehlerhafte Angabe im Versicherungsvertrag stellt eine arglistige täuschung dar
Eine arglistige Täuschung setzt das Vorspiegeln falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer gerade zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss dabei vorsätzlich handeln, das heißt bewusst und willentlich auf die Entscheidung des BU-Versicherers einwirken.
Für die Bejahung einer arglistigen Täuschung ist entscheidend, dass der Versicherungsnehmer bewusst falsche Angaben macht, um überhaupt eine BU-Versicherung zu bekommen. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer bei seinen Angaben im Antragsformular erkennt und billigt, dass der BU-Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen wird (vgl. BGH B. v. 10.5.2017 – IV ZR 30/16, r+s 2017, 408 = VersR 2017, 937 = zfs 2018, 28 Rn. 16; BGH Urt. 28.2.2007 – IV ZR 331/05, VersR 2007, 785 Rn. 8; BGH U. v. 14.7.2004 – IV ZR 161/03, VersR 2004, 1297 Rn. 20).
„Ich habe dem versicherungsvertreter gegenüber alle erkrankungen angegeben“
Häufig stellt sich auch das Problem, dass der Versicherungsnehmer beim Ausfüllen seines Antrags auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung von einem Versicherungsvertreter unterstützt wurde, oder der Antrag sogar selbst vom Vertreter ausgefüllt und vom Versicherungsnehmer nur unterschrieben wurde.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu beachten, dass es ausreicht, den Versicherungsvertreter über die gestellten Gesundheitsfragen im Antragsbogen aufzuklären. Wurden die Fragen gegenüber dem Vertreter ehrlich beantwortet, so sind diese richtigen Angaben automatisch auch der Versicherung zugegangen, da der Versicherungsvertreter gerade für die Versicherung tätig wird, vgl. § 70 Satz1 VVG.
Frist für die Anfechtung des BU-Vertrages
Darüber hinaus ist zu beachten, dass der BU-Versicherer bezüglich einer etwaigen Anfechtung an Fristen gebunden ist.
Nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BGB kann die Anfechtung nur innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt, in dem der Versicherer von der vermeintlichen arglistigen Täuschung erfahren hat, erklärt werden.
Eine Anfechtung ist auch dann abgeschlossen, wenn zwischen den vermeintlichen Falschangaben im Versicherungsantrag und der Anfechtung mehr als zehn Jahre liegen, § 124 Abs. 3 BGB.
Diese Frist ist gerade im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherungen entscheidend, die auf einen langen Zeitraum angelegt sind und bei denen häufig erst nach jahrelanger Beitragszahlung überhaupt der Versicherungsfall eintritt.
Konkret bedeutet das zum Beispiel: Wenn Sie Ihr Berufsunfähigkeitsversicherung im Jahr 2009 abgeschlossen haben und Ihre Versicherung im Jahr 2020 eine Leistungspflicht ablehnt, weil Sie im Versicherungsvertrag vermeintlich falsche Angaben gemacht hätten, ist das nicht mehr möglich, da die Frist zur Anfechtung nach § 124 Abs. 3 BGB bereits abgelaufen ist.
Rücktritt vom BU-Versicherungsvertrag
Neben der Erklärung der Anfechtung wird häufig gleichzeitig der Rücktritt vom Versicherungsvertrag erklärt.
Rücktritt nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit
Doch auch der Rücktritt ist nicht ohne weiteres möglich. Vielmehr ist der Rücktritt nach § 19 Abs. 3 Satz 1 VVG ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer beweist, dass die vermeintlichen Falschangaben weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig erfolgten.
Gerade die Bejahung des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit hat hohe Hürden. So muss die Sorgfalt in so ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein, dass diese Sorgfaltspflichtverletzung im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen.
BU-Leistung trotz grober Fahrlässigkeit
Selbst für den Fall, dass dem BU-Versicherer der Nachweis der groben Fahrlässigkeit gelingt, hat das nicht zur Folge, dass dieser ohne weiteres vom Versicherungsvertrag zurücktreten kann und somit leistungsfrei ist.
Nach § 19 Abs. 4 Satz 1 VVG ist ein Rücktritt bei fehlender Vertragsschlusskausalität ausgeschlossen.
Der BU-Versicherer kann trotz grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers nicht vom Vertrag zurücktreten, wenn der Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Krankheiten, wenn auch zu anderen Bedingungen, zustande gekommen wäre.
Konkret heißt das zum Beispiel: Wurde beim Antrag vergessen einen Vorschaden der Hand anzugeben, muss anhand der Annahmerichtlinien des BU-Versicherers geprüft werden, ob trotz Kenntnis dieses Schadens ein Versicherungsvertrag zustande gekommen wäre. Häufig wird dies der Fall sein, da die Versicherer in solchen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch hätten machen können, bestimmte Körperteile vom Versicherungsschutz auszuschließen.
BU-Leistung trotz Rücktritt
Auch im Falle eines wirksamen Rücktritts hat das nicht automatisch zur Folge, dass Sie keine BU-Leistungen erhalten.
Es besteht die Möglichkeit eines Kausalitätsgegenbeweises nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VVG. Das heißt, dass der BU-Versicherer auch dann zur Leistung verpflichtet ist, wenn der Leistungsfall, also die Berufsunfähigkeit, bereits bei der Erklärung des Rücktritts vorlag und sich die Verletzung der Anzeigeobliegenheit auf einen Umstand bezieht, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des BU-Versicherer ursächlich hist.
Konkret heißt das zum Beispiel: Im Versicherungsantrag wurde ein Schaden der Hand angegeben. Die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung werden jedoch wegen Burn-Out verlangt. Im Rahmen der Leistungsprüfung stellt der Versicherer sodann fest, dass im Rahmen des Antrags ein Schaden der Hand nicht angegeben wurde.
In diesem Fall ist der Versicherer trotz Rücktritt nicht leistungsfrei, da der Eintritt der Berufsunfähigkeit bereits vorlag, als der BU-Versicherer seinen Rücktritt erklärte und zwischen der tatsächlichen Berufsunfähigkeit (Burn-Out) und dem Schaden an der Hand keine Beziehung besteht.
Fazit: Weder die Anfechtung der Berufsunfähigkeitsversicherung, noch ein Rücktritt des BU-Versicherers vom Versicherungsvertrag führen automatisch zu einer Leistungsfreiheit des Berufsunfähigkeitsversicherers. Neben der Erfüllung der objektiven und subjektiven Merkmale der arglistigen, vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Falschanzeige ist eine Anfechtung auch nur innerhalb gesetzlich geregelter Fristen möglich. Im Ergebnis muss immer der konkrete Einzelfall betrachtet werden.