Die Betriebsschließungsversicherung, die bis zum Corona-Ausbruch eher ein Schattendasein fristete, ist seit dem Corona bedingten Lockdown weit über die Versicherungsbranche bekannt. Spätestens nach der – vielleicht etwas vorschnellen – Einigung zwischen Wirtschaftsminister Aiwanger und den großen Versicherern stellt sich jedoch die Frage, wie es tatsächlich um die Ansprüche betroffener Betriebe bestellt ist.
In den mir vorliegenden Streitfällen mit den Versicherern stellen sich immer die gleichen Streitfragen:
1. SARS-CoV-2 nicht in den Versicherungsbedingungen erwähnt
Der erste Ablehnungsgrund der von den Versicherern angeführt wird ist, dass SARS-CoV-2 oder Covid-19 nicht namentlich in den Versicherungsbedingungen genannt ist. Dabei sind grundsätzlich zwei Arten von AVB zu unterscheiden: teilweise enthalten die AVB eine Auflistung von Krankheiten und Krankheitserregern, sowie eine Verweisung auf §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz, andere enthalten eine Verweisung auf eine konkrete Fassung des Infektionsschutzgesetzes. In beiden Varianten ist der Ablehnungsgrund identisch: Covid-19 wird nicht genannt, Versicherungsschutz besteht daher nicht.
Dieser doch sehr simplen Schlussfolgerung hat das LG Mannheim in seinem Urteil vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20 eine Absage erteilt. Darin heißt es u.a.: „Selbst der verständige Versicherungsnehmer dürfte in einem solchen Fall davon ausgehen, dass alle unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Erreger und Krankheiten Grundlage der Betriebsschließung sein können. Erst recht wird er davon ausgehen, dass spätere Änderungen dieser Normen auf den Vertrag Anwendung finden.“
Im Klartext bedeutet das: Die Versicherungsbedingung sind aus Sicht eines durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmers auszulegen. Dieser muss die AVB so verstehen, dass Versicherungsschutz bei Seuchen besteht, unabhängig davon, ob diese bereits in den AVB oder dem Infektionsschutzgesetz erwähnt sind.
2. Allgemeinverfügung ungenügend
Der zweite Ablehnungsgrund der von den Versicherern angeführt wird ist die Behauptung, dass es sich bei dem durch Allgemeinverfügung verfügten „Lockdown“ um keine Anordnung einer zuständigen Behörde handelt, wie sie in den AVB als Voraussetzung genannt ist.
Ob die Betriebsschließung aufgrund einer behördlichen Allgemeinverfügung erfolgte ist jedoch im Ergebnis ohne Belang. Eine Allgemeinverfügung richtet sich als generelle Regelung nicht an einen Einzelnen, sondern an einen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis (Stelken in Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, § 35 VwVfG Rn. 271). Gleichwohl sind auch Allgemeinverfügungen Verwaltungsakte, die final und unmittelbar eine Regelungswirkung – nämlich die Anordnung der Betriebsschließung – für den versicherten Betrieb entfaltet (Schwarz in: Fehling/Kastner/Strömer, 4. Aufl. 2016, § 35 VwVfG, Rn. 117).
Auch die in diesem Kontext ergangenen Verordnungen stützen sich zum einen auf § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1, § 31 IfSG und begründen jedenfalls in Form der Schließungsanordnung ohne weitere Umsetzung durch nachgeordnete Behörden, wie etwa Gesundheitsämter, unmittelbar Rechte und Pflichten für die betroffenen Betriebe. Aus diesem Grund ist das Merkmal „zuständige Behörde“ für einen durchschnittlichen VN – und dessen Sicht ist entscheidend – bei Vorliegen einer Betriebsschließung aufgrund einer Allgemeinverfügung gegeben (vgl. Lüttringhaus/Eggen, r+S 5/2020 S. 251; Schreier, VersR 2020, 513, 516).
3. Keine faktischen Schließungen
Schließlich führen die Versicherer als Argument an, dass eine tatsächliche Schließung tatsächlich nicht vorliegt, da z.B. Hotels weiterhin Geschäftsreisende aufnehmen durften, bzw. Gaststätten „Take-away“ Speisen anbieten durften.
Auch diesem Argument hat das Urteil des LG Mannheim vom 29.04.2020, Az. 11 O 66/20 einen Riegel vorgeschoben. Im Urteil heißt es hierzu: „Dennoch stellt sich die Situation so dar, dass diese Beschränkung des Hotelbetriebs sich wie eine faktische Schließung auswirkt. Das liegt daran, dass Geschäftsreisen ohnehin nur einen Teil der Übernachtungszahlen ausmachen und dieser Bereich durch die Auswirkungen der Verbreitung des Corona-Virus zusätzlich eingeschränkt ist, weil Arbeitnehmer ins Home-Office geschickt wurden, Messen und Großveranstaltungen abgesagt wurden und zahlreiche Betriebe ebenfalls geschlossen wurden. Die Auswirkungen dieser behördlichen Anordnung haben folglich Auswirkungen wie eine Schließung eines Hotels im konkreten Einzelfall.“
Fazit:
Betroffene Versicherungsnehmer sollten sich genau überlegen, ob sie sich mit der von vielen Versicherern angebotenen 15% der Versicherungssumme abspeisen lassen wollen. Das Urteil des LG Mannheim vom 29.04.2020 hat gezeigt, dass die Einwände der Versicherer haltlos sind, folglich ein Anspruch auf die volle Versicherungsleistung besteht.